by assateague » Fri Sep 13, 2013 7:54 pm
Mit reichen Erfahrungen auf allen kriegerischen Gebieten waren wir vom französischen Boden in die Heimat zurückgekehrt. Mit dem einigen Vaterland war ein deutsches Einheitsheer geschaffen, an dessen Grundgedanken die staatlichen Sonderheiten nur oberflächliche Abweichungen bedingt hatten. Die Einheitlichkeit in der kriegerischen Auffassung war von jetzt ab ebenso gewährleistet wie die Einheitlichkeit der Organisation, der Bewaffnung und Ausbildung. Es lag im natürlichen Verlauf der deutschen Entwicklung, daß die preußischen Erfahrungen und Einrichtungen für den weiteren Ausbau des Heeres ausschlaggebend wurden.
Die Friedensarbeit setzte allenthalben wieder ein. Ich verblieb für die nächsten Jahre noch im Truppendienst, folgte dann aber meiner Neigung zu einer höheren militärischen Ausbildung, bereitete mich zur Kriegsakademie vor und fand im Jahre 1873 Aufnahme in diese.
Das erste Jahr entsprach nicht ganz meinen Erwartungen. Anstatt mit Kriegsgeschichte und neuzeitiger Gefechtslehre wurden wir auf diesem Gebiet der Militärwissenschaften damals lediglich mit Geschichte alter Kriegskunst und früherer Taktiken abgespeist, also mit Nebendingen. Dazu mußten wir zwangsweise Mathematik hören, die nur ganz wenige von uns später als Trigonometer in der Landesaufnahme ausnutzen wollten. Erst die beiden letzten Jahre und die Kommandierung zu andern Waffen in den Zwischenkursen brach[pg 49]ten dem vorwärtsstrebenden jungen Offizier volle Befriedigung. Unter Anleitung hervorragender Lehrer, von denen ich neben dem schon früher erwähnten Major von Wittich den Oberst Keßler und den Hauptmann Villaume vom Generalstab sowie als Historiker den Geheimrat Duncker und den Professor Richter nennen will, und im Verkehr mit reichbegabten Altersgenossen, wie den spätern Generalfeldmarschällen von Bülow und von Eichhorn sowie dem späteren General der Kavallerie von Bernhardi, erweiterte sich der Gesichtskreis wesentlich.
Nicht wenig trug hierzu auch das vielseitige gesellige Leben Berlins bei. Ich hatte die Ehre, zu dem engern Kreise Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Alexander von Preußen herangezogen zu werden, und kam dadurch nicht nur mit hohen Militärs sondern auch mit Männern der Wissenschaft sowie des Staats- und Hofdienstes in Berührung.
Nach Beendigung meines Kommandos zur Kriegsakademie kehrte ich zunächst für ein halbes Jahr zum Regiment nach Hannover zurück und wurde dann im Frühjahr 1877 zum Großen Generalstab kommandiert.
Im April 1878 erfolgte meine Versetzung in den Generalstab unter Beförderung zum Hauptmann. Wenige Wochen darauf wurde ich dem Generalkommando des II. Armeekorps in Stettin zugewiesen. Hiermit begann meine militärische Laufbahn außerhalb der Truppe, zu welch letzterer ich bis zu meiner Ernennung zum Divisionskommandeur nur zweimal zurückkehrte.
Der Generalstab war wohl eines der bemerkenswertesten Gefüge innerhalb des Gesamtrahmens unseres deutschen Heeres. Neben der strengen hierarchischen Kommandogewalt bildete er ein besonderes Element, das sich auf das hohe geistige Ansehen des Chefs des Generalstabes der Armee, also des Feldmarschalls Graf Moltke, stützte. Durch die Friedensschulung der Generalstabsoffiziere war die Gewähr geschaffen, daß im Kriegsfalle ein einheitlicher Zug [pg 50]alle Führerstellen beherrschte, ein einigendes Fluidum alle Führergedanken durchsetzte. Die Einwirkung des Generalstabes auf die Führung war nicht durch bindende Bestimmungen geregelt; sie hing vielmehr in einer unendlichen Mannigfaltigkeit von Abstufungen von der militärischen und persönlichen Eigenart der einzelnen Offiziere ab. Die erste Forderung an den Generalstabsoffizier war, die eigene Persönlichkeit und das individuelle Handeln vor der Öffentlichkeit zurücktreten zu lassen. Er mußte ungesehen schaffen, also mehr sein als scheinen.
Ich glaube, daß es der deutsche Generalstab in seiner Gesamtheit verstanden hat, seine außerordentlich schwere Aufgabe zu erfüllen. Seine Leistungen waren bis zuletzt meisterhaft, mögen auch Fehler und Irrtümer im einzelnen vorgekommen sein. Ich wüßte kein ehrenderes Zeugnis für ihn, als daß die Gegner seine Auflösung durch die Friedensbedingungen gefordert haben.
Man hat im Generalstabsdienst vielfach eine Geheimwissenschaft vermutet. Nichts verkehrter als das. Wie unsere gesamte kriegerische Tätigkeit so beruht auch die des Generalstabes lediglich auf der Anwendung der gesunden Vernunft auf den gerade vorliegenden Fall. Hierbei war oft neben höherem Gedankenflug gewissenhafte Beschäftigung mit aller möglichen Kleinarbeit erforderlich. Ich habe manch hochbegabten Offizier kennengelernt, der durch Versagen in letzterer Richtung entweder als Generalstabsoffizier nicht brauchbar war, oder als solcher ein Nachteil für die Truppe wurde.
Meine Stellung beim Generalkommando belastete mich als jüngsten Generalstabsoffizier natürlich hauptsächlich mit solcher Kleinarbeit. Anfangs wirkte das enttäuschend, dann gewann ich Liebe zur Sache, da ich ihre Notwendigkeit für die Durchführung der großen Gedanken und für das Wohl der Truppe erkannte. Nur bei den alljährlichen Generalstabsreisen konnte ich mich als Handlanger des Korpschefs mit größeren Verhältnissen beschäftigen. [pg 51]Auch zu der ersten vom General Graf Waldersee, Chef des Generalstabes des X. Armeekorps, geleiteten Festungsgeneralstabsreise bei Königsberg wurde ich damals kommandiert. Mein kommandierender General war der General der Kavallerie Hann von Weyherrn, ein erprobter Soldat, der in jungen Jahren in schleswig-holsteinschen Diensten gefochten und 1866 eine Kavallerie-, 1870/71 eine Infanteriedivision geführt hatte. Es war eine Freude, den alten Herrn, einen vortrefflichen Reiter, zu Pferde in der Uniform seiner Blücherhusaren zu sehen. Meinen beiden Generalstabschefs, erst Oberst von Petersdorff, dann Oberstleutnant von Zingler, danke ich eine gründliche Ausbildung im praktischen Generalstabsdienst.
Im Jahre 1879 hatte das II. Korps Kaisermanöver und erwarb sich die Anerkennung Seiner Majestät. Ich lernte bei dieser Gelegenheit den russischen General Skobeleff kennen, der zu der Zeit, nach dem Türkenkriege, auf der Höhe seines Ruhmes stand. Er machte den Eindruck eines rücksichtslos energischen, frischen und wohl auch ganz befähigten höhern Führers. Sein Renommieren berührte weniger angenehm.
Nicht unerwähnt darf ich lassen, daß ich mich in Stettin verheiratet habe. Meine Frau ist auch ein Soldatenkind als Tochter des Generals von Sperling, welcher 1866 beim VI. Korps und 1870/71 bei der 1. Armee Generalstabschef war und gleich nach dem französischen Kriege starb. Ich fand in meiner Frau eine liebende Gattin, die treulich und unermüdlich Freud und Leid, alle Sorge und Arbeit mit mir teilte und so mein bester Freund und Kamerad wurde. Sie schenkte mir einen Sohn und zwei Töchter. Ersterer hat im großen Kriege als Generalstabsoffizier seine Schuldigkeit getan. Beide Töchter sind verheiratet, ihre Männer haben im letzten großen Kriege gleichfalls vor dem Feinde gestanden.
1881 wurde ich zur 1. Division nach Königsberg versetzt. Diese Verwendung machte mich selbständiger, brachte mich der Truppe näher und führte mich in meine Heimatsprovinz.
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Aus meinem dortigen dienstlichen Leben möchte ich besonders hervorheben, daß der bekannte Militärschriftsteller General von Verdy du Vernois zeitweise mein Kommandeur war. Der General war eine hochbegabte, interessante Persönlichkeit. Er verfügte infolge seines reichen Erlebens in hohen Generalstabsstellen während der Kriege 1866 und 1870/71 über außergewöhnliche Kenntnis der entscheidenden Ereignisse damaliger Zeit. Auch hatte er schon früher durch seine Zuteilung zum Hauptquartier des russischen Oberkommandos in Warschau während des polnischen Aufstandes 1863 einen tiefen Einblick in die politischen Verhältnisse an unserer Ostgrenze gewonnen. Die Mitteilungen aus seinem Leben, die er mit einer glänzenden Erzählerkunst vortrug, waren deshalb nicht nur vom militärischen sondern auch vom politischen Standpunkte in hohem Grade belehrend. General von Verdy war außerdem auf dem Gebiete der angewandten Kriegslehre bahnbrechend. Ich lernte daher unter seiner Anleitung und im gegenseitigen Meinungsaustausch sehr viel für meine spätere Lehrtätigkeit an der Kriegsakademie. So wirkte der geistvolle Mann in verschiedenen Richtungen äußerst anregend auf mich ein. Er war mir stets ein gütiger Vorgesetzter, der mir sein volles Vertrauen schenkte.
Auch meines damaligen Korps-Generalstabschefs, Oberst von Bartenwerffer, erinnere ich mich gern in Dankbarkeit. Seine Generalstabsreisen und Aufgaben für die Winterarbeiten des Generalstabes waren meisterhaft angelegt, seine Kritiken besonders lehrreich.
Vom Stabe der 1. Division wurde ich nach drei Jahren als Kompagniechef in das Infanterieregiment 58, Standort Fraustadt in Posen, versetzt. Ich hatte bei dieser Rückkehr in den Frontdienst eine Kompagnie zu übernehmen, die fast ausschließlich polnischen Ersatz hatte. Die Schwierigkeiten, die der Verständigung zwischen Vorgesetzten und Untergebenen und damit der Erziehung und Ausbildung durch den Mangel gegenseitiger Sprachkenntnis im Wege stehen, lernte ich hierbei in ihrem ganzen Umfange kennen. Ich [pg 53]selbst war der polnischen Sprache bis auf einige Redensarten, die ich in meiner Kinderzeit aufgeschnappt hatte, nicht mächtig. Meine Einwirkung auf die Kompagnie war noch dadurch außerordentlich erschwert, daß die Mannschaften in 33 Bürgerquartieren, bis hinaus zu den die Stadt umgebenden Windmühlen, verstreut lagen. Im allgemeinen waren aber meine Erfahrungen mit dem polnischen Ersatz nicht ungünstig. Die Leute waren fleißig, willig und, was ich besonders hervorheben möchte, anhänglich, wenn man der Schwierigkeiten, die sie bei Erlernung des Dienstes zu überwinden hatten, Rechnung trug und auch sonst bei aller Strenge für sie sorgte. Damals glaubte ich, daß die größere Häufigkeit von Diebstählen und von Trunkenheit bei den Polen weniger mit moralischer Minderwertigkeit als mit vielfach ungenügender erster Jugenderziehung zu erklären sei. Ich bedauere es sehr, daß ich meine gute Meinung von den Posener Polen jetzt zurückstecken muß, nachdem ich von den Greueln gehört habe, welche die Insurgenten Wehrlosen gegenüber verübt haben. Das hätte ich den Landsleuten meiner einstigen Füsiliere nicht zugetraut!
Gern denke ich auch heute noch an meine leider nur fünfvierteljährige Kompagniechefszeit zurück. Ich lernte zum ersten Male das Leben in einer kleinen, halbländlichen Garnison kennen, fand außer im Kameradenkreise auch freundliche Aufnahme auf benachbarten Gütern und stand wieder einmal in unmittelbarem Verkehr mit dem Soldaten. Ich bemühte mich redlich, auf die Eigenart jedes einzelnen einzugehen und knüpfte so ein festes Band zwischen mir und meinen Untergebenen. Darum wurde mir die Trennung von meiner Kompagnie sehr schwer trotz aller äußern Vorteile, welche mir die Rückkehr in den Generalstab brachte.
Diese erfolgte im Sommer 1885 durch Versetzung in den Großen Generalstab. Nach wenigen Monaten wurde ich Major. Ich kam in die Abteilung des damaligen Oberst Graf von Schlieffen, des späteren Generals und Chefs des Generalstabes der Armee, wurde aber [pg 54]außerdem noch der Abteilung des derzeitigen Oberst Vogel von Falckenstein, des späteren Kommandierenden Generals des VIII. Armeekorps und dann Chefs des Ingenieurkorps und der Pioniere, für länger als ein Jahr zur Teilnahme an der ersten Bearbeitung der Felddienstordnung, einer neuen, grundlegenden Allerhöchsten Vorschrift, zur Verfügung gestellt. Dadurch kam ich mit den beiden bedeutendsten Abteilungschefs jener Zeit in Berührung.
An einem mehrtägigen Übungsritte bei Zossen im Frühjahre 1886, der dem Zweck diente, Bestimmungen der Felddienstordnung vor ihrer Einführung praktisch zu erproben, nahm auch Seine Königliche Hoheit der Prinz Wilhelm von Preußen teil. Es war für mich das erste Mal, daß ich die Ehre hatte, meinem späteren Kaiser, König und Herrn, Wilhelm II., zu begegnen. Im darauffolgenden Winter wohnte der damalige Prinz einem Kriegsspiel des Großen Generalstabes bei. Ich führte bei dieser Gelegenheit die russische Armee.
Wenn in jenen Jahren der Generalfeldmarschall Graf Moltke auch schon den nähern Verkehr mit den Abteilungen des Großen Generalstabes seinem nunmehrigen Gehilfen, dem General Graf Waldersee, überließ, so beherrschte doch sein Geist und sein Ansehen alles. Es bedarf wohl keiner besonderen Versicherung, daß Graf Moltke eine allseitige, grenzenlose Verehrung genoß, und daß sich niemand von uns seinem wunderbaren Einfluß entziehen konnte.
Ich kam unter den dargelegten Verhältnissen nur selten in unmittelbaren dienstlichen Verkehr mit dem Feldmarschall, hatte aber ab und zu das Glück, ihm außerdienstlich zu begegnen. Eine für seine Persönlichkeit wie für seine Anschauungen gleich kennzeichnende Szene erlebte ich in einer Abendgesellschaft beim Prinzen Alexander. Wir betrachteten nach Tisch ein Gemälde von Camphausen, das Zusammentreffen des Prinzen Friedrich Karl mit dem Kronprinzen auf dem Schlachtfelde von Königgrätz darstellend. Der in der Gesellschaft anwesende General von Winterfeldt erzählte aus [pg 55]persönlichem Erleben, daß Prinz Friedrich Karl im Augenblick der Begegnung dem Kronprinzen zugerufen habe: „Gott sei Dank, Fritz, daß du gekommen bist, sonst wäre es mir vielleicht schlecht ergangen!“ Auf diese Erzählung Winterfeldts hin trat Graf Moltke, welcher sich gerade eine Zigarre aussuchte, mit drei großen Schritten unter uns und sagte in scharf betonten Worten: „Das brauchte der Prinz nicht zu sagen. Er wußte doch, daß der Kronprinz heranbefohlen und gegen Mittag auf dem Schlachtfeld zu erwarten war, und damit war der Sieg sicher.“ Nach dieser Bemerkung wandte sich der Feldmarschall wieder den Zigarren zu.
Zu Kaisers Geburtstag waren die Generale und Stabsoffiziere des Generalstabes Gäste des Feldmarschalls. Bei einer solchen Gelegenheit behauptete einer der Herrn, daß Moltkes Kaisertoast einschließlich der Anrede und des ersten „Hoch“ nicht mehr als zehn Worte enthalten würde. Hieraus entstand eine Wette, bei der ich Unparteiischer war. Der dagegen Wettende verlor, denn der Feldmarschall sagte nur: „Meine Herrn, der Kaiser hoch!“ Worte, die in unserm Kreise und aus diesem Munde wahrlich genügten. Im nächsten Jahre sollte die gleiche Wette abgeschlossen werden, aber der Gegenpart dankte dafür. Er hätte dieses Mal gewonnen, denn Graf Moltke sagte: „Meine Herrn, Seine Majestät der Kaiser und König Er lebe hoch!“ Das sind elf Worte.
Übrigens war Graf Moltke im geselligen Verkehr durchaus nicht schweigsam, sondern ein sehr liebenswürdiger, anregender Unterhalter mit viel Sinn für Humor.
Im Jahre 1891 sah ich den Feldmarschall zum letzten Male, und zwar auf seinem Totenbett. Ich durfte am Morgen nach seinem Hinscheiden vor ihn treten. Der Entschlafene lag aufgebahrt ohne die übliche Perücke, so daß die wundervolle Form seines Kopfes voll zur Geltung kam. Es fehlte nur ein Lorbeerkranz um seine Schläfe, um das Bild eines idealen Cäsarenkopfes zu vervollständigen. Wie viele gewaltigen Gedanken waren in diesem Kopfe entstanden, welch [pg 56]hoher Idealismus hatte hier seine Stätte gehabt, welch ein Adel der Gesinnung hatte von dort aus zum Wohle unseres Vaterlandes und seines Herrschers selbstlos gewirkt. Eine an Geist wie an Charakter gleich große Persönlichkeit hat nach meiner Überzeugung seitdem unser Volk nicht mehr hervorgebracht, ja Moltke ist vielleicht in der Vereinigung dieser Eigenschaften eine einzig dastehende Größe gewesen.
Schon 3 Jahre vorher war unser erster, so großer Kaiser von uns gegangen. Ich war zur Totenwache im Dom kommandiert und durfte dort meinem über Alles geliebten Kaiserlichen und Königlichen Herrn den letzten Dienst erweisen. Meine Gedanken führten mich über Memel, Königgrätz und Sedan nach Versailles. Sie fanden ihren Abschluß in der Erinnerung an einen Sonntag des vorhergehenden Jahres, an dem ich in der Mitte der jubelnden Menge am Kaiserlichen Palais unter dem historischen Eckfenster stand. Getragen von der allgemeinen Begeisterung hob ich damals meinen fünfjährigen Sohn in die Höhe und ließ ihn unseren greisen Herrn mit den Worten sehen: „Vergiß diesen Augenblick in deinem ganzen Leben nicht, dann wirst du auch immer recht tun.“ Nun war seine große Herrscher- und Menschenseele hingegangen zu den Kameraden, denen er wenige Jahre vorher durch den sterbenden Generalfeldmarschall von Roon seinen Gruß entboten hatte.
Auf meinem Schreibtisch liegt ein grauer Marmorblock. Er stammt aus dem alten Dom und von der Stelle, auf welcher der Sarg meines Kaisers gestanden hat. Ein lieberes Geschenk konnte mir nie gemacht werden. Welche Gefühle bei Anblick dieses Steines besonders heutzutage in mir wach werden, das brauche ich wohl nicht erst in Worte zu kleiden.
Dem Sohn Wilhelms, Kaiser Friedrich, Deutschlands Stolz und Hoffnung, war keine lange Regierungszeit beschieden. Eine unheilbare Krankheit raffte ihn wenige Monate nach dem Tode des Vaters hinweg. Der Große Generalstab befand sich zu dieser Zeit auf einer Generalstabsreise in Ostpreußen. Wir wurden daher in [pg 57]Gumbinnen auf Seine Majestät den Kaiser und König Wilhelm II. vereidigt. So legte ich denn meinem nunmehrigen Kriegsherrn das Treugelöbnis an einer Stelle ab, an der ich es 26 Jahre später in schwerer, aber großer Zeit durch die Tat bekräftigen durfte.
Das Schicksal fügte es für mich günstig, daß ich innerhalb des Generalstabes eine sehr abwechslungsreiche Verwendung fand. Noch während meiner Zuteilung zum Großen Generalstab wurde mir der Unterricht der Taktik an der Kriegsakademie übertragen. Ich fand in dieser Tätigkeit eine hohe Befriedigung und übte sie fünf Jahre hindurch aus. Freilich waren die Anforderungen an mich sehr groß, da ich neben diesem Amt gleichzeitig andern Dienst tun mußte, zuerst im Großen Generalstab und später als erster Generalstabsoffizier beim Generalkommando des III. Armeekorps. Unter diesen Verhältnissen erschien der Tag mit 24 Stunden oftmals zu kurz. Durcharbeitete Nächte wurden zur Gewohnheit.
Viele hochbegabte, zu den schönsten Hoffnungen berechtigende junge Offiziere lernte ich während dieser akademischen Lehrtätigkeit kennen. Mancher Namen gehören jetzt der Geschichte an. Ich nenne hier nur Lauenstein, Lüttwitz, Freytag-Loringhoven, Stein und Hutier. Auch zwei türkische Generalstabsoffiziere waren mir in dieser Zeit auf die Dauer von etwa zwei Jahren beigegeben: Schakir Bey und Tewfyk Effendi. Der eine hat es später in seiner Heimat bis zum Marschall, der andere bis zum General gebracht.
Beim Generalkommando des III. Korps war der jüngere General von Bronsart mein Kommandierender General, ein hochbegabter Offizier, der 1866 und 1870/71 im Generalstab tätig gewesen war, und später gleich seinem älteren Bruder Kriegsminister wurde.